Schlaganfall-Expertin seit 30 Jahren

27. Juni 2022: Mit 63 Jahren will Dr. Gabriele Escheu ihr Arbeitstempo reduzieren, aber nicht gleich von „150 auf 0“. Deshalb wechselt die Leiterin der „Stroke Unit“ der neurologischen Klinik Kaufbeuren am Monatsende zum MVZ der Bezirkskliniken Schwaben Kaufbeuren, wo sie noch in Teilzeit tätig sein wird
Dr. Gabriele Escheu Foto: Georg Schalk - Bezirkskliniken

Sie hat die Schlaganfall-Versorgung in Kaufbeuren und dem Ostallgäu geprägt. Ende dieses Monats verlässt die Leiterin der „Stroke Unit“, Dr. Gabriele Escheu, nach 35-jähriger Dienstzeit die Klinik für Neurologie des Bezirkskrankenhauses (BKH) am Klinikum Kaufbeuren. Ganz wird sich die 63-Jährige jedoch nicht in den Ruhestand verabschieden, sondern künftig noch drei Vormittage im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) der Bezirkskliniken Schwaben in Kaufbeuren tätig sein – quasi als „fließender Übergang zur Rente“, wie sie es nennt. „Mein Plan war, mit 63 aufzuhören. Von 150 auf 0 ist aber zu heftig. Nun besteht die Möglichkeit, noch ein bisschen was zu machen.“ In der Klinik wird der Abschied der Stellvertreterin des ärztlichem Direktors Prof. Dr. Martin Hecht eine große Lücke hinterlassen.

Nicht verwunderlich, wenn man sich die Liste der Tätigkeit, Aufgaben und Funktionen ansieht, die Dr. Escheu innehat: stellvertretende ärztliche Direktorin, Leiterin der zertifizierten Schlaganfalleinheit („Stroke Unit“) sowie hygienebeauftragte Ärztin für die neurologische Klinik. Die Oberärztin macht Konsile auf der Intensivstation des Klinikums und ist Mitglied der Ethikkommission des Klinikums. Sie hat ab 2001 die Botulinumtoxinambulanz der Neurologie Kaufbeuren aufgebaut, gemeinsam mit ihren Kollegen Thomas Bär (IT) und Bernhard Saur (Patientenmanagement) das DRG-System im Haus etabliert und im Rahmen des Qualitätsmanagements die Klinik erfolgreich nach DIN-ISO zertifiziert. Außerdem war Dr. Escheu im Team der Irseer Ultraschallseminare, die bis vor wenigen Jahren im Bildungszentrum in Irsee veranstaltet wurden und bei denen sie Interessierten aus nah und fern spezielle neurologische Ultraschalldiagnostik näherbrachte.

„Ich bin eine der wenigen, die eine Facharztausbildung sowohl in der Psychiatrie als auch in Neurologie hat“, verrät die gebürtige Geisenfelderin (Hallertau), die die ersten fünf Jahre ihres Lebens in der Nähe von Landsberg/Lech verbracht hat. Über Pfaffenhofen an der Ilm, wo sie ihr Abitur machte, und München, wo sie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) Medizin studierte, kam Dr. Gabriele Escheu im März 1987 nach Kaufbeuren. Dort startete sie in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Im Rahmen der Rotation zwischen den beiden medizinischen Fächern arbeitete sie 1991 erstmals in der Neurologie. Dort blieb sie hängen, zumal der damalige Chefarzt Dr. Peter Hauke es schaffte, dass in seiner Klinik eine Neurologie-Vollzeitstelle geschaffen wurde. Mit Gabriele Escheu wurde sie besetzt. Hauke ging 2006 in den Ruhestand, ihm folgte der jetzige ärztliche Direktor Prof. Hecht.

„Das Gehirn ist ein äußerst spannendes Organ. Im Studium hat mir noch der Zugang zu diesem Feld gefehlt, aber später hat es mich fasziniert, mich damit intensiv zu beschäftigen. Da ist ganz viel Seele dabei“, verrät die Oberärztin. Im Fach Psychiatrie hat ihr letztendlich das „Handwerkliche“ gefehlt, „ich bin gerne handwerklich tätig“.

In der ersten Zeit befand sich die Kaufbeurer Neurologie noch idyllisch am Kaiserweiher gelegen, abgeschieden von den beiden großen Krankenhäusern. „Die erste Lyse haben wir 1998 gemacht. Damals hatten wir noch einen CT in Eigenregie im BKH, der Patient kam anschließend zur Durchführung der Thrombolyse auf die Intensivstation des Klinikums“, erinnert sich die 62-Jährige. Bei der Lyse beziehungsweise Lysetherapie (Thrombolyse) löst man Blutgerinnsel in einem Gefäß medikamentös auf. Diese Schilderung zeigt zum einen, dass die Patienten damals zwischen BKH, Neurologie und Klinikum ziemlich viel hin- und hergefahren werden mussten. Zum anderen habe die Zusammenarbeit mit dem Intensivbereich, dem Notfallzentrum und den vielen anderen Berufsgruppen des Klinikums schon immer sehr gut geklappt – damals wie heute, so Dr. Escheu. „Unser Einzugsgebiet war riesengroß und reichte von Buchloe, Mindelheim über Marktoberdorf bis Füssen. Alle, die ein Kopf-CT benötigten, haben ihre Patienten zu uns geschickt“, erinnert sich die Medizinerin.

Um die Jahrtausendwende wurden immer mehr Stroke Units ins Leben gerufen. „Auch wir haben angefangen, Monitorbetten für die maschinelle Überwachung von Schlaganfallpatienten aufzustellen.“ Mit dem Umzug ins Multifunktionsgebäude am Klinikum im Januar 2009 führte die neurologische Klinik dann Lysen eigenständig durch. „Damit nahm die Schlaganfallversorgung neuen Schwung auf“, so Dr. Escheu. Im Herbst 2011 folgte der Umzug ins Hauptgebäude des Klinikums.
Die scheidende Oberärztin war bei den Planungen und Umsetzungen stets mit dabei und arbeitete an den Konzepten mit. Heute verfügt die Kaufbeurer Neurologie über 44 Voll- und drei teilstationäre Betten inklusive sechs Monitor-Betten sowie zwei Nicht-Monitor-Betten. 2011 wurde die Schlaganfalleinheit, deren Leiterin Dr. Escheu von Anfang an ist, unter ihrer Regie erstmals von externen Fachleuten der Deutschen Schlaganfallgesellschaft begutachtet und schließlich zertifiziert. Die Überprüfung der Abläufe und der Qualität der Arbeit erfolgt seitdem regelmäßig. „Die Abläufe sind standardisiert. Jede Berufsgruppe weiß, was sie zu tun hat. Zu einer effektiven Behandlung von Schlaganfällen ist die multiprofessionelle Zusammenarbeit immer wichtiger geworden.“
In der Schlaganfallbehandlung hat sich nach Ansicht der Oberärztin viel getan. Hier sei „mehr Tempo reingekommen“, sagt sie, „vor allem in den ersten 24 Stunden läuft ganz viel Diagnostik ab und werden wichtige Therapieentscheidungen getroffen“. Dank des Einsatzes modernster Technik wie Kernspin (MRT) oder Angiografie könnten heute Schlaganfälle diagnostiziert werden, die früher z.B. als Migräne gewertet wurden. „Man traut sich mehr zum Wohle der Patienten, ist etwas forscher geworden, wägt aber in jedem Einzelfall die Risiken ab.“ Sicherheit stehe nach wie vor an oberster Stelle, so Dr. Escheu.

Von der Lyse als erste und einzige medikamentöse Akuttherapie und bei Bedarf von einer Thrombektomie profitiere ein großer Anteil von Patienten. „Es ist schön zu sehen, dass Menschen, die schwer betroffen zu uns kommen, nach kurzer Zeit kaum betroffen oder gänzlich beschwerdefrei die Klinik verlassen können.“ Unter Thrombektomie versteht man die Entfernung eines Blutgerinnsels (Thrombus) aus einem Blutgefäß mit einem Katheter. Diese wird jedoch nicht in Kaufbeuren durchgeführt, sondern im BKH Günzburg oder in München-Großhadern. Dr. Escheu nennt Zahlen: „Wir behandeln etwa 600 bis 630 Schlaganfälle pro Jahr. In zirka 130 Fällen führen wir eine Lyse durch, Tendenz steigend. 55 Patienten wurden vergangenes Jahr zur Thrombektomie in eine andere Klinik verlegt.“

Dass sie bei ihrer Arbeit immer „viel Freiheit zur Gestaltung“ gehabt habe und damit viel Einfluss, dafür sei sie sehr dankbar. „Es hat großen Spaß gemacht. Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen intern wie extern war schön. Unser Team, mit dem ich intensiv zusammengearbeitet habe, werde ich vermissen“, sagt sie. Nicht vermissen wird sie dagegen die Wochenend- und Nachtdiente.

Gabriele Escheu, die in Kaufbeuren wohnt, freut sich jetzt schon, am Donnerstag auf den Wochenmarkt gehen zu können. Ihre Französisch-Sprachkenntnisse will sie auffrischen. Ihrer Leidenschaft, der Fotografie, will sie mehr Zeit widmen. Die 62-Jährige ist Mitglied im Fotoclub „Arbeitskreis Fotografie Kaufbeuren“. Auch einem Verein zur Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern gehört sie an. Hier kann Dr. Escheu sich vorstellen, an der Fortbildung von Ärzten z.B. in Mosambik oder Äthiopien auf dem Gebiet der Epilepsie mitzuwirken. Das schließt ein weiteres Hobby der umtriebigen Medizinerin ein: Reisen. Beliebte Ziele: Asien und Afrika. Das würde passen.