BKH Günzburg: Trinken bis zum Abruf in den OP

Das Neurozentrum am Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg hat zum 1. April 2025 ein neues Nüchternheitskonzept für Patientinnen und Patienten vor der Operation eingeführt. Die Erfahrungen nach einem halben Jahr seien gut, berichtet Priv.-Dozent Dr. med. Dipl.-Phys. Johannes Tschöp. „Auch bei den Patientinnen und Patienten kommt das Konzept gut an“, so der Chefarzt der Abteilung für Anästhesie. Das Neurozentrum besteht aus den Kliniken für Neurochirurgie, Neurologie, der Anästhesie/Intensivmedizin sowie der Neuroradiologie und dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ).
Patienten durften bisher ab sechs Stunden vor der Operation keine feste Nahrung und ab zwei Stunden vorher keine Flüssigkeiten mehr zu sich nehmen. Damit sollte eine gefürchtete Aspiration von Mageninhalt während der Narkose vermieden werden. Aus der großen Sorge vor einer solchen Aspiration wurde oft in Kauf genommen, dass Patienten häufig sehr lange vor der Operation nicht trinken, auch heute noch im Mittel neun bis zwölf Stunden. Dieses Vorgehen verursachte allerdings nicht nur Unwohlsein durch Durst und Mundtrockenheit, sondern führte auch zu ernsthaften Komplikationen wie Kreislaufproblemen, vermehrter Übelkeit nach der Operation, Nierenversagen und Delir. Selbst eine leichte Dehydrierung führt zur Beeinträchtigung der Homöostase sowie der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit.
Aufgrund des sehr niedrigen Risikos einer Aspiration haben laut Dr. Tschöp nun einige Kliniken – basierend auf Studien und wissenschaftlichen Untersuchungen - begonnen, den Patienten das Trinken von klarer Flüssigkeit bis zum Abruf in den OP zu erlauben (während feste Nahrung weiterhin nur bis sechs Stunden vor der Operation erlaubt ist).
Mit diesem neuen Nüchternheitskonzept wird der Komfort der Patienten deutlich verbessert und die Komplikationen reduziert. Zur Information und Steuerung dieses Konzeptes gibt es Nüchternheitskarten nach einem Ampelsystem: Die meisten Patienten werden im Rahmen ihres Aufklärungsgespräches in der Abteilung für Anästhesie eine grüne Nüchternheitskarte erhalten, die ihnen somit ein Trinken von klaren Flüssigkeiten bis zum Abruf in den OP erlaubt. Sie dürfen bis zum Abruf klare Flüssigkeiten entsprechend ihren Wünschen und Gewohnheiten trinken, auch Kaffee oder Tee. Um für die Erläuterungen auf den Karten für alle verständlich zu machen, sind sie auf der Rückseite auch auf Englisch, Russisch und Türkisch abgedruckt. Eine gelbe Karte bekommen Patienten, für die aufgrund spezieller Vorerkrankungen oder operativer Besonderheiten ein individualisiertes Vorgehen erforderlich ist. Eine rote Karte ist schwerkranken Notfallpatienten vorbehalten, die ab sofort weder essen noch trinken dürfen.
· Grüne Karte: Patienten dürfen bis zum Abruf in den OP klare Flüssigkeiten trinken: stilles Wasser, Apfelsaft ohne Kohlensäure, Tee oder schwarzer Kaffee (auch mit Zucker).
· Gelbe Karte: Patienten dürfen bis zu einem individuell festgelegten Zeitpunkt vor der OP klare Flüssigkeiten zu sich nehmen.
· Rote Karte: Patienten müssen ab einem bestimmten Zeitpunkt vollständig nüchtern bleiben.
Sobald die Patienten stationär aufgenommen wurden, erhalten sie auf der Bettenstation am OP-Tag die ihnen zugewiesene Nüchternheitskarte an das Bett gehängt. Dies gilt auch für die ambulanten Patienten, die erst am OP-Tag in die Klinik kommen. Durch die visuell gekennzeichneten und aufgeführten Verhaltensanweisungen auf der Nüchternheitskarte sind sowohl die wechselnden, betreuenden Pflege- und Servicekräfte als auch die Patienten und ihre Angehörigen kontinuierlich über ihr persönliches präoperatives Konzept informiert. Patienten trinken unter Anwendung dieses neuen Konzeptes entsprechend der ihnen zugeteilten Nüchternheitskarte und entsprechend ihren Vorlieben und Gewohnheiten immer wieder über den Tag verteilt, bis sie zur Operation abgerufen werden.
Das neue und für die Patienten einfache Nüchternheitskonzept hat sich in zahlreichen Kliniken auf Basis wissenschaftlicher Studien und positiver Ergebnisse bereits bewährt, so Chefarzt Dr. Tschöp. Am BKH Günzburg hat die Abteilung für Anästhesie dieses neue Nüchternheitskonzept in diesem Jahr eingeführt. Im Vorfeld wurden alle beteiligten Bereiche des Neurozentrums am BKH über das neue Konzept informiert und darin geschult. „Durch dieses Konzept reduzieren wir bei unseren Patienten vor der Operation das Unwohlsein durch Durst, und reduzieren somit auch den Stress vor der Operation“, so Dr. Tschöp. Des Weiteren führt das erlaubte Trinken zu einer Verringerung der postoperativen Komplikationen wie z.B. das Auftreten von Übelkeit und Erbrechen oder auch das Entstehen eines Delirs oder eines akuten Nierenversagens, stabilisiert den Blutdruck und erleichtert auch das Legen eines venösen Zuganges.
Mit der Einführung des Konzepts „Trinken bis Abruf mit Nüchternheitskarten“ geht das BKH Günzburg einen weiteren Schritt in Richtung einer patientenfreundlicheren und sichereren medizinischen Versorgung.