Aktionsfeld D: Sozialraumorientierung

Artikel 19 „Unabhängige Lebens­führung“

Das Vorhandensein von Handlungs- und Gestaltungsspielräumen im persönlichen Lebensumfeld ist Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe. Im Artikel 19 der UN-BRK ist festgeschrieben, dass gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen, die für die Allgemeinheit zugänglich sind, auch auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung ausgerichtet und für sie nutzbar sein sollen. Dies bedeutet, dass Gebäude, Mobilität, Produkte, Dienstleistungen sowie weitere Infrastrukturen des öffentlichen Lebens für Menschen mit Behinderung weitestgehend eigenständig, mit möglichst wenig Zusatzaufwand zugänglich und nutzbar sein müssen. Dies sind wichtige Grundvoraussetzungen, damit Menschen mit ­Behinderung ihren Sozialraum barrierefrei gestalten und Unterstützung in diesem Umfeld erfahren können.

Um sicherzustellen, dass die gemeindenahe Infrastruktur auch die Belange von Menschen mit Behinderung im Blick hat, sollte kommunale Stadt- bzw. Landentwicklungspolitik inklusiv mit der Beteiligung von Menschen mit Behinderung angegangen werden. Sie kann damit entscheidende Weichen für Inklusion in der Gemeinde stellen. Menschen mit Behinderung sollten bei der Gestaltung des inklusiven Sozialraums einen aktiven Part einnehmen. Damit nehmen sie ihren Platz in Mitten der Gesellschaft ein, gestalten den Sozialraum nach ihren Bedürfnissen mit und müssen nicht mehr vorwiegend in geschlossenen Hilfesystemen verbleiben.

Die Definition des Sozialraums ist dabei mehr als die Summe infrastruktureller, organisatorischer, politischer und sozialen Strukturen. Er ist vielfältig und hat je nach Person unterschiedliche Bezüge. Denn „jedes Individuum schafft durch seine Aktivitäten, Vorlieben und Beziehungen Sozialräume und lebt in diesen“ .

Der Bund knüpft an diese Punkte an und verankert im Zuge der BTHG-Reform gesetzlich die „Sozialraumorientierung“ als Qualitätsanforderungen an verschiedenen Stellen im SGB IX. So sollen beispielsweise die Gesetzgebungen der Länder darauf hinwirken, flächendeckende, am Sozialraum orientierte Angebote in der Eingliederungshilfe vorzuhalten. Zudem sollen die Bedarfsplanung und -erhebung sozial­raumorientiert erfolgen. Dies bedeutet, dass die Hilfeleistungen den Sozialraum des/der Berechtigten berücksichtigen und einbeziehen sollen. Diesem Anspruch wird man durch die konsequente Anwendung der Internationalen Klassifikation von Behinderung und Gesundheit (ICF) gerecht, in der die Umwelt der Person eine zentrale Rolle spielt.

Für die Leistungsgewährung wie auch für die ­Leistungserbringung bedeutet das veränderte Sicht- und Handlungsweisen. Denn die Sozialraumorientierung zielt darauf ab, das Empowerment von Menschen mit Behinderung zu stärken sowie netzwerkorientiert und zielgruppenübergreifend zu arbeiten. Auf Seiten der Leistungserbringer bedarf es u. a. der Kompetenz der Fachkräfte, ihre Unterstützungsleistung am Willen und an den Fähigkeiten der Personen auszurichten und Ressourcen im Umfeld zu erschließen. Darüber hinaus ist es wichtig, Strukturarbeit zu leisten und dadurch Ressourcen und Netzwerke für Menschen mit Behinderung in der Gemeinde zu erschließen. Die Träger der Eingliederungshilfe ihrerseits sollten bereichsübergreifende und fallunspezifische Leistungen in den Kosten berücksichtigen und die sozialraumorientierten Herangehensweisen der Verbände unterstützen. Nicht zuletzt bedarf es Leistungsempfänger/-innen, die den Wunsch und Willen zur Beteiligung am inklusiven Sozialraum haben und dementsprechende Kompetenzen ausbilden.

Dem Bezirk Schwaben ist es ein Anliegen, konstruktive Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Sozialraumorientierung mit unterschiedlichen Maßnahmen und Projekten zu schaffen. So baut er seine Angebote sukzessive aus, die dazu dienen, Netzwerkarbeit zu leisten, wie zum Beispiel im Rahmen eines Modellprojektes die Entwicklung eines Teilhabenetzwerks für alle Menschen mit Behinderungen in der Region Günzburg/Neu-Ulm. Außerdem möchte der Bezirk Daten bereitstellen, die für die Gestaltung des Sozialraumes hilfreich sein können. So wird er einen „sozialen Atlas“, auf dem alle Angebote der Eingliederungshilfe in der Region verzeichnet sind, auf seiner Webseite veröffentlichen. Darüber hinaus ist es dem Bezirk Schwaben wichtig, auch die Sozialverwaltung kontinuierlich weiterzuentwickeln und an die Erfordernisse der BTHG-Reform anzupassen.

Nr. Maßnahme Federführende Steuerung Beteiligung Zeitrahmen
D1 Ausweitung des Angebotes des regionalen Krisendienstes für gehörlose und blinde sowie lernbeeinträchtigte Menschen im Rahmen der bayernweiten Entwicklung. Sachgebiet Kompetenzzentrum Sozialpsychiatrie Bayernweite zuständige Leitstellen des Krisendienstes Ab 2022
D2 Schrittweise Weiterentwicklung und mögliche Erweiterung der Vernetzungsstrukturen des GPV hin zu einem „Teilhabenetzwerk für alle Menschen mit Behinderung als Grundlage für eine zukunftsfähige regionale Steuerung und Versorgung“ im Rahmen eines Modellprojektes in der Region Günzburg/Neu-Ulm. Sachgebiet Kompetenzzentrum Sozialpsychiatrie Stabsstelle Sozialplanung, Abteilungsleitung Sozialverwaltung, Gemeindepsychiatrische Verbünde (GPV) Ab 2022
D3 Einführung des ICF-basierten Bedarfsermittlungsinstruments für Bayern BIBay. Sachgebiet Sozialpädagogisch Medizinischer Dienst Bayerische Bezirke, Verbände, Betroffenen und Angehörigenverbände Ab 2022
D4 Einführung einer modellhaften Lotsen- und Koordinationsstelle in Schwaben für Menschen mit erworbener Hirnschädigung. Stabsstelle Soziale Projekte Sozialverwaltung, Gesundheits- und Sozialausschuss Ab 2024
D5 Entwicklung von Förderrichtlinien mit der konkrete sozialraumorientierte Projekte für Menschen mit Behinderung finanziell unterstützt werden können. Stabsstelle Soziale Projekte Sozialverwaltung, Interessensvertretungen, Gesundheits- und Sozialausschuss Ab 2023
Nr. Maßnahme Federführende Steuerung Beteiligung Zeitrahmen
D6 Ausbau der Sozialplanung zur Bereitstellung von Daten zur nachhaltigen und bedarfsorientierten Planung von Angeboten in der Region. Stabsstelle Sozialplanung Sozialverwaltung Ab 2022
D7 Erstellung eines Sozialberichtes mit regelmäßiger Fortschreibung. Stabsstelle Sozialplanung Sozialverwaltung Ab 2023
D8 Sukzessiver Aufbau einer Informationsplattform auf der Website des Bezirkes durch Bereitstellung von Daten, beginnend mit einem „Sozialen Atlas“. Stabsstelle Sozialplanung Sozialverwaltung, Stabsstelle Digitalisierung Ab 2023
D9 Erhebung aller gerontopsychiatrischen Angebote in Schwaben zur Bedarfserhebung und Planung. Stabsstelle Sozialplanung Sachgebiet Kompetenzzentrum Sozialpsychiatrie Ab 2023
Nr. Maßnahme Federführende Steuerung Beteiligung Zeitrahmen
D9 Vereinheitlichung und Vereinfachung der Beantragung der Kostenübernahme von Gebärdensprachdolmetschern anstreben. Sachgebiet Pflegesatz Vermittlungsstelle für Gebärdensprachdolmetscher/-innen Ab 2023
D10 Informationen für die Beantragung von Gebärdensprachendolmetschern aufbereiten und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Sachgebiet Pflegesatz Stabsstelle Soziale Projekte Ab 2023
D11 Entwicklung von weiteren Serviceleistungen für Leistungsempfänger/-innen und Träger, um die Erreichbarkeit besser sicherzustellen und Unterstützung bei der Antragsstellung gewährleisten zu können. Sozialverwaltung Beratungsstelle Ab 2022
D12 Vorbereitung und Einführung der „Federführenden Fallverantwortung“ bei komplexen Fallkonstellationen, um eine Vereinfachung für Antragstellende zu erreichen. Sozialverwaltung Ab 2023
D13 Schrittweise Anpassung der internen Struktur zu mehr Bedarfsorientierung (z. B. Prinzip des „Lebenslagenmodells“ oder Aufteilung nach BTHG Teilbereichen). Sozialverwaltung Ab 2024
D14 Sukzessive Gestaltung einer nutzerfreundlichen und transparenten Webeseite der Sozialverwaltung durch die Bereitstellung von weiterführenden Informationen zur Leistungsbeantragung. Stabsstelle Soziale Projekte Sozialverwaltung, Online-PR Ab 2023